Ullis agile Ecke – Cynefin

Oder: Wo mein Problem, da meine Lösung.

© KPH, JG

Wie geht es Ihnen gerade?

  • Haben sie oft eine schnelle Lösung zu einem Problem?
  • Verlassen Sie sich auf Ihr Können und Wissen bei der Lösung?
  • Kennen sie diesen kreativen Lösungsweg, der unerwartet aufgetaucht?
  • Hätten Sie manchmal gerne einfach nur „die gute Lösung“?

Dann darf ich Sie einladen, hier im agilen Eck weiterzulesen…

(Wenn Sie nur kurz Zeit haben, empfehle ich das Video des Urhebers von Cynefin.)

Da wir uns seit nunmehr einem Jahr in einer Periode befinden, in der wir keine Quick Fixes oder schnellen Lösungen haben und es sowas wie „Best Practice“ auch nicht gibt, war ich umso glücklicher, auf ein Modell gestoßen zu sein, welches mir die Komplexität so mancher Situationen klarmacht und mir dabei hilft, zu überlegen wie ich ein gewisses Problem kategorisiere, um dann eine Idee zu bekommen, wie ich mit diesem umgehe. Klingt spannend? Ist es auch! 

Das Cynefin Framework (ausgesprochen [kəˈnɛvɪn] – mit Betonung auf dem „e“) kommt aus dem Walisischen und bedeutet so etwas wie „Lebensraum“ oder „Habitat”. Erfunden bzw. beschrieben hat das Modell der Berater David John Snowden (2000). Es geht darum, in welchem Lebensraum das Problem/eine herausfordernde Situation „beheimatet“ ist und wie ich damit umgehen kann. Es macht nämlich einen Unterschied, ob ich Fenster putzen will, ein fünfgängiges Menü für 100 Leute kochen möchte, eine Klasse gruppendynamisch on- und offline unterrichten will, oder während einer Pandemie meine Schule so weiterführen will, wie ich es gewohnt war.
 
Wie Sie sehen, hat das Framework vier Quadranten, und beschreibt vier Kategorien :

  • einfach
  • kompliziert
  • komplex
  • chaotisch

 
Die Störung in der Mitte ist der Ausgangspunkt, von dem man das Problem/eine herausfordernde Situation dann zuordnet. Ein Problem kommt von außen und stört ein System.

Nun zu einer Kurzbeschreibung:

Einfache/simple Probleme: zB.: Ein Lehrer meldet sich telefonisch um 7:15 Uhr und meldet sich für den Tag krank. Einfache Methoden können angewendet werden, um zu einer Lösung zu kommen – Stichwort “Rezept”. Es gibt zu einem Problem eine Lösung, es gibt ein best practice Beispiel. Oft glaubt man im einfachen Quadranten zu sein – oft ein Trugschluss!
Lösungsschritte: Ich nehme wahr (der Kollege meldet sich krank), klassifiziere das Problem (schau was ich dazu brauche, öffne die richtige Datei am Computer), agiere (aktualisiere den Supplierplan).

Bei komplizierten Problemen/Situationen braucht es aber mehr: Es gibt oft mehrere Antworten auf eine Frage, mehr Lösungswege.  Deswegen sprechen wir hier von good practice – mehrere Möglichkeiten, zB. das Fünfgang-Menü für 100 Leute, Sommerfest für den ganzen Campus (ohne Pandemie), Vorbereitung einer Konferenz im Hybrid-Format.
Lösungsschritte: Start ist gleich wie beim einfachen Problem, doch ich schiebe eine Analysephase ein: Welche Faktoren sind wichtig? Brauche ich Experten? Welche Daten könnten wir sammeln, die hilfreich wären? Hier gibt immer noch good practice!

Besonders spannend wird es jetzt – der größte Schritt ist zwischen kompliziert und komplex. Die Bildungslandschaft ist übrigens voll komplexer Probleme: Die Größe des Problems ist nicht von vornherein klar; auch nicht, wieviele Elemente da in Verbindung stehen – man denke an eine heterogene Klasse, an eine Methode, die mit der einen Gruppe von Lernenden gut geklappt hat, mit der anderen nicht – oder die Einführung von partizipativen Strukturen oder auch die Abschaffung des Stundenläutens der Schulglocke.
Standardlösungen sind kaum anwendbar. Die Lösung liegt in einem emergenten Lösungsweg, der auftaucht, nach und nach sichtbar wird. Was hier hilft ist: ein höheres Maß an Kommunikation – Partizipation, in Dialog treten und die Menschen an einen Tisch bringen, um einen Lösungsweg zu finden, der sich herauskristallisiert, aber nicht gleich so klar war.
Lösungsschritte: Man probiert aus, experimentiert und nimmt wahr, welche Auswirkungen es gibt, dann erst agiert man in einer Art, die zum Problem passt. Der große Unterschied zu kompliziert ist, dass man schnell in ein Ausprobieren komme und nicht Zeit damit verbringe, zu analysieren (ohne Anspruch auf sofortige Lösung - es geht eher um ein Entwickeln von Ideen und Lösungsansätzen). 

Wenn wir es mit einer Pandemie, einer Umweltkatastrophe zu tun haben, dann ist die Störung dem chaotischen Quadranten zuzuordnen – und es geht darum, das System zu stabilisieren. Wichtig ist hier, dass man sofort reagiert und Maßnahmen setzt – wichtiger als lange zu analysieren, was eine beste Lösung wäre, da das System eben instabil ist.
Typische Kriseninterventionen: Die Lösungen, die da gefragt sind, sind kreative “thinking outside the box”, zB. Unterricht nur mit Klassenteilen, A Woche – B Woche, Nasenbohrertests statt Minutengurgeln, Outdoor Klassen, …  Es geht um novel practice, Lösungen, auf die wir davor noch nicht gekommen sind. Übrigens: Hier ist klare Kommunikation sehr wichtig! 
Lösungsschritte: 1. Maßnahmen 2. Schauen, in wie weit diese gegriffen haben, 3. Das tun, was wohlüberlegt ist. 

Meine 3 wichtigsten Erkenntnisse:  

  • Kompliziert ist nicht gleich komplex und verlangt andere Maßnahmen.
  • Best Practice gibt es nur bei einfachen Problemen – deswegen gibt es einfach kaum Rezepte, obwohl wir uns die alle so wünschen. 
  • Experimentieren heißt nicht, keine bessere Idee zu haben.
  • Kommunizieren ist umso wichtiger je komplexer das Problem ist.

Liebe agile Grüße,
Ulli Horak

 

Zum Weiterlesen

Die Quelle:
Snowden, D. J. (2000) “Cynefin: a sense of time and space, the social ecology of knowledge management”. In Knowledge Horizons : The Present and the Promise of Knowledge Management ed. C Despres & D Chauvel Butterworth Heinemann October 2000

Snowden, D. J.; Boone, M. (2007): A Leader’s Framework for Decision Making. In: Harvard Business Review (11), S. 69–76. hbr.org/2007/11/a-leaders-framework-for-decision-making (abgerufen am 9.5.2021)

Beschreibung von D. Snowden: https://www.youtube.com/watch?v=N7oz366X0-8 (abgerufen am 9.5.2021)

Auf deutsch: Frenzel, Peter (2019) Kompliziert? Komplex? Oder schon chaotisch? - Das "Cynefin Framework" als Orientierungshilfe für Führungskräfte (abgerufen am 9.5.2021)

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