„He who covets a mythical abstraction must always be insatiable!“ (G. Bateson)
Wann ist ein Wunsch erfüllt? Wann sind wir zufrieden mit dem, was wir erreicht haben? Jeder Jahresbeginn ist ein willkommener Anlass für Wünsche und Ziele aller Arten – doch oft genug muss man bei einem Blick über die Schulter feststellen, dass man einige dieser Ziele nicht erreicht oder überhaupt aus den Augen verloren hat. Bateson bezog sich mit dem obigen Zitat auf die mythische Abstraktion der Macht. Mythos deswegen, weil Macht seiner Auffassung nach keine Qualität des Einzelnen darstellt, sondern erst im Beziehungsgeflecht einer Gruppe entsteht: Dominanz provoziert Unterwerfung. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es also andere Menschen, das Zielbild ist damit komplex und unvorhersehbar – es gibt keine absolute Bezugsgröße, keine „100 %“-Marke für die Statistik. So betrachtet sehnen wir uns immer wieder nach Dingen, die man nach Bateson als mythische Abstraktion deuten könnte: das perfekte Team, die liebe Schulklasse, das ideale Schulsystem. Aber auch im Privatleben: die traumhafte Beziehung und Familie, das erfüllte Leben etc. Mythische Zielbilder sind schnell aufgestellt – je wolkiger, desto wohliger – und sie werden uns täglich von den farbenfrohen Inszenierungen in sozialen Medien unter die Nase gerieben. Aber wann sehen wir diese Dinge jemals als erfüllt an? Und was muss wegbrechen, um uns in eine veritable Krise zu stürzen und die Hoffnung zu nehmen?
Um aus diesem Teufelskreis der verlorenen Träume auszubrechen, bieten sich zwei Perspektiven an. Zum Einen das banale Prinzip der SMART-Ziele, mit dem man sich den Mythos in spezifische, messbare Zielbilder zerteilt. Und zum Anderen die Frage: Wie viel ist genug? Welchen Unterschied zum Status Quo muss ich feststellen können, um zufrieden zu sein? Die Frage nach der Baseline, den Grundvoraussetzungen für Zufriedenheit schafft einerseits eine spezifische Schwelle, an der man das Erreichte messen kann, und lässt andererseits den Raum für weitere Entwicklung darüberhinaus und alle Möglichkeiten der Zukunft – und auch für für die Träume und Wunschbilder, die wir Menschen lieben und wohl auch brauchen als Sirenen aus einer nebligen Zukunft. Wir sollten uns bloß nicht blindlings von ihrem Gesang verführen lassen.
Johannes Gasser